Erfahrungsbericht Auslandssemester WiSe 22/23 an der ISCTE Lissabon
von Robin Crauser
Die Zeit davor
Die Entscheidung ins Ausland zu gehen, fiel bei mir relativ spät, aber glücklicherweise ziemlich genau 2 Monate vor der Bewerbungsfrist (15.12.21 um in dem WiSe 22/23 im Ausland zu sein). Bei meinen Prioritäten lag Lissabon (wie bei sehr vielen anderen auch) auf Position eins, wobei ich glücklicherweise meine Priorität eins auch bekam. Ich war in der Vorbereitung immer etwas unsicher, ob ich alles zum richtigen Zeitpunkt machen würde, kann aber alle zukünftigen Austauschstudierenden beruhigen, dass alle notwenigen Dinge zur richtigen Zeit erklärt werden. Die Platzvergabe erfolgte bei uns Anfang Januar, wobei ich die erste Mail von der ISCTE (gesprochen Isch-ktey) im März bekam. Die Partnerhochschule hielt uns auch immer auf dem Laufenden und meine Sorge, Termine zu verpassen war unbegründet, da die Mails immer sehr klar, rechtzeitig und deutlich formuliert waren. Die Kurswahl erfolgte Mitte Juni, wobei man durch das Windhundverfahren auf jeden Fall schnell sein sollte und immer Backup-Kurse im Hinterkopf haben sollte. Das Learning Agreement vor dieser Kurswahl schon bestätigen zu lassen, ergibt in meinen Augen keinen Sinn, weshalb ich meines erst danach bestätigen ließ. Der Semesterstart an der ISCTE war am 08.09.22, wobei die meisten Kurse bis Mitte Dezember gehen und die Prüfungsphase dann im Januar ist.
Wohnungssuche
Der Wohnungsmangel in Lissabon ist riesig und der Markt sehr eingeschränkt. Zuallererst möchte ich darauf hinweisen, dass ich schon im Vorfeld viel von Betrug (Wohnungen, die gar nicht existieren) gehört habe und deshalb stark zu Vorsicht rate!
Die bekanntesten Seiten sind UniPlaces oder Spotahome, wobei die Wohnungen überprüft werden und dafür eine Fee zu Beginn fällig wird. Dieser Weg hat für einige Leute funktioniert, wobei ich schon früh Glück mit meiner Wohnungssuche hatte.
Schon im Juni (also 3 Monate vor dem Start) postete ich den obligatorischen Facebook Post (Wer ich bin, was ich mache, dass ich eine Wohnung suche etc.) in der Facebook Gruppe ERASMUS Lisboa 22/23. Diesen Schritt kann ich nur jedem ans Herz legen! So konnte mir eine andere ERASMUS Studentin den Kontakt ihrer Vermieterin weiterleiten und ich fand eine 11er WG (ja, WGs in Lissabon sind viel größer als in DE, 6-7 oder mehr sind keine Seltenheit) in der ich super wohnen konnte. Mit 440€ zahlte ich für meinen Geschmack schon sehr viel Geld, wenn man aber bedenkt, dass das Wohnheim neben der Hochschule Mainz mittlerweile genauso viel kostet, ist der Preis wieder okay. Für Lissabon
war der Preis günstig bis durchschnittlich teuer. In dem Preis war alles inbegriffen, wie Internet, ein eigener Balkon, eine Putzkraft und ein schönes, helles Zimmer. Dennoch möchte ich bei der Wohnung dazusagen, dass es im November, spätestens Dezember so richtig kalt wird (keine Heizung). Auch wenn es draußen noch 15° sind, sind 17-18° in der Wohnung schon echt kalt. Da ist es schön an Weihnachten sich in Deutschland noch einmal aufzuwärmen. Heizungen sind in Lissabon nämlich sehr selten. Auch sind November/Dezember nicht unbedingt regenfrei und in der Zeit, in der ich dort war, ereigneten sich sehr heftige Überflutungen, da Lissabon mit stärkeren Regenfällen nicht wirklich umgehen kann (schlechte Kanalisationssysteme). Noch ein Wort zu der Lage in Lissabon: Ich kann jeder:jedem nur dazu raten eine Wohnung nahe der gelben Metrolinie (es gibt gelb, grün, rot und blau, das ganze kann schön in Google Maps betrachtet werden) zu suchen, welche direkt zu der Hochschule fährt (Haltestellen Entre Campos oder Cidade Universitaria).
ÖPNV
Der ÖPNV in Lissabon ist gut und vor allem durch die Metro sehr schnell und einfach. Busse sind durch den Verkehr sehr unzuverlässig und können nur schwer geplant werden. Züge sind pünktlich, wurden von mir aber nur selten genutzt. Die Fähre stellt einen guten Weg dar, um auf die andere Seite von Lissabon zu kommen. All diese Verkehrsmittel können mit der Navegante Karte benutzt werden, welche einmal in der Metro Station beantragt werden muss (Tipp für die Beantragung: die App Proximo ermöglicht es einem zu sehen, welches Ticket gerade bearbeitet wird und die Buchung eines Zeit-Slots). Am besten beantragt man die Urgent-Karte, welche am darauffolgenden Tag abgeholt werden kann. Die Karte hat eine Haltbarkeit von 2 Jahren und kann immer am Monatsanfang (nicht vergessen) aufgeladen werden. Für unter 23-jährige und über 65-jährige kostet die Karte für Lissabon-Stadt ca. 22€ und die Karte für die Metropolregion Lisboa (welche ich immer hatte) gerade mal 30€.
Kurse in der Uni
Zu den Kursen an der Partnerhochschule kann ich nur für den Studiengang Digital Media B.Sc. sprechen, welcher durch die Dreiteilung in Medien, IT und Management eher einen Sonderfall darstellt. Die ISCTE ist eine Business School, was dafür sorgte, dass ich nur Wirtschaftskurse machen konnte und durch meine 2 Semester im Ausland mein Studium faktisch um 2 Semester verlängerte, da ich nicht alle Kurse komplementär an der ISCTE absolvieren konnte.
Masterkurse können auch von Bachelorstudierenden gewählt werden und sind viel häufiger vorzufinden als Bachelorkurse. Häufig finden diese auch nur in der ersten Periode des Semesters (6 Wochen) statt, sind sehr intensiv, aber danach auch fertig. Kurse, die von Anfang bis Ende des Semesters jede Woche stattfanden, hatte ich nicht so richtig. Häufig fielen mal ein bis zwei Vorlesungen aus, die dann in den anderen Wochen nachgeholt wurden.
Die Bewertung erfolgt in der Regel über eine Continuous Evaluation, was bedeutet, dass die Studierenden mindestens 2/3 der Zeit anwesend sein mussten (wird über Key-Karten gecheckt) und in jedem Kurs, den ich hatte, eine Gruppenarbeit vorgesehen war. Dazu kamen mehrfach auch noch Exams am Ende des Semester, die dann nur noch ca. 50% der Note ausmachten. Alternativ dazu kann auch ein Final Exam (100% der Note) geschrieben werden, was aber kaum jemand in Lissabon machte.
Die Uni ISCTE
Im Vergleich zur Hochschule Mainz sieht die ISCTE schon sehr alt aus. In der Zeit, in der ich dort war, war das WLAN leider oft sehr schlecht, weshalb mobile Daten manchmal praktisch sein konnten. In den Auditorios im Keller funktionierte aber auch das nicht wirklich. Da die ISCTE direkt unter der Einflugschneise des Flughafens liegt, kann es schon passieren, dass tagsüber Flugzeuge im 5-Minuten Takt in ca. 100m Höhe über die ISCTE fliegen und man die Konversation für 20sek unterbrechen muss. Die Räume sind am Anfang kompliziert zu finden, können aber glücklicherweise auch auf Google Maps gefunden werden ;)
Sport
An Sport ist in Lissabon so gut wie alles möglich: Für meine Sportarten fand ich sehr tolle Bedingungen vor. Beachvolleyball oder Beachfußball kann in Carcavelos, dem Hausstrand von Lissabon (ca. 30min Zugfahrt) gespielt werden. Sogar im Dezember ging das noch. Tennis kann hervorragend bei RaquetsPro EUL nahe dem Campus von den Universtitäten (Cidade Universitaria) gespielt werden, was mit 9€/h/Court (für Studierende) auch preislich gut ist.
Surfen ist der Vokssport Nr. 2 hinter Fußball und muss von jeder:jedem mindestens einmal in Lissabon ausprobiert werden. Das geht am einfachsten an dem Strand von Carcavelos, wobei dort vor allem im Wind recht hohe und starke Wellen vorzufinden sind. Ich hatte dort meinen ersten Kurs, fand die Bedingungen auf der anderen Seiten von Lissabon (Costa da Caparica) jedoch wesentlich angenehmer. Für mich als Kitesurfer, war der Wind jedoch besonders wichtig und immer wenn eine Brise wehte, zog mich der Kite über den Atlantik. Für Anfänger:innen sind die Lagunen von Obidos (ca. 80km von Lissabon entfernt) und Albufeira (30km entfernt, nicht die Stadt, sondern die Lagune!) sehr gut geeignet, wobei in beiden Fällen ein Auto fast unverzichtbar ist, um an den Spot zu kommen. Auch wichtig zu erwähnen ist der Umstand, dass der Wind im Winter nur sehr unzuverlässig weht und man sich über die Sessions freuen sollte, die doch funktionieren.
Kosten
Die neue ERASMUS-Förderung, die zu unserem Wintersemester auf 540€/Monat aufgestockt wurde ist hervorragend, um auch im Auslandssemester gut leben zu können. Das führt jedoch auch dazu, dass viele Internationals den Portugies:innen den Wohnraum wegnehmen und Studierende aus Portugal in den allermeisten Fällen auch in ihrem Master noch zuhause wohnen (müssen). Portugal lebt vom Tourismus, ist aber auf EU-Ebene auf jeden Fall ein sehr armes Land mit schlechter Wirtschaft. Studierende, die Jobs haben verdienen oft nur ca. 5€/Stunde, wobei wir in Deutschland mittlerweile schon bei 12€/Stunde sind. Die Lebenshaltungskosten sollen etwas niedriger sein, als in Deutschland, wobei dies mir
(zumindest in der Hauptstadt Lissabon) nicht wirklich signifikant auffiel. Transport ist auf jeden Fall sehr günstig, aber Wohnen oder Essen gehen war für mich ähnlich teuer ins Gewicht wie in Deutschland.
Noch ein Wort zu den Portugiesen ;)
Die Portugies:innen sind nur im Straßenverkehr größtenteils wahnsinnig. Andauerndes Hupen, über Rot fahren und generell mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs zu sein, gehört für die portugiesischen Autofahrenden dazu (darüber wissen sie auch J) Ansonsten habe ich alle Portugies:innen ausnahmslos als sehr offene und gastfreundliche Menschen kennengelernt. Dies ist auch Teil ihrer Kultur und Fremde werden sehr herzlich aufgenommen. Gerade in der Hauptstadt Lissabon kommt man mit Englisch unfassbar weit und braucht gar kein portugiesisch zu können. Wenn man dann jedoch mehr ins Umland geht, nur mit Portugies:innen einen Abend verbringen möchte oder mit älteren Personen zu tun hat, kann Portugiesisch von großem Vorteil sein. Abschließend kann ich auch noch sagen, dass es sehr schön ist auch die Portugies:innen etwas näher kennenzulernen und nicht nur in der ERASMUS-Bubble zu bleiben. Dennoch muss man sich darum meist aktiv kümmern, da es einfach sehr viele Internationals (und vor allem auch Deutsche) in Lissabon gibt.