Van Gogh TV
„Van Gogh TV“, eine avantgardistische Gruppe von Medienkünstler- und Hacker*innen, präsentierte im Rahmen der Documenta IX im Jahr 1992 die „Piazza Virtuale“. Das interaktive Fernsehprojekt nutzte alle damals verfügbaren elektronischen Medien, um das Fernsehpublikum, das die Sendung sowohl über den Fernsehsender 3Sat als auch den Olympus-Satelliten verfolgen konnte, in das Geschehen auf dem Bildschirm einzubeziehen.Per Telefon, Fax, Mailbox, Bildtelefon und sogar dem damals noch weitgehend unbekannten Internet konnte man auf die Gestaltung der Sendungen Einfluss nehmen. So gab es je nach Sendeblock die Möglichkeit, miteinander zu diskutieren, sich kennenzulernen, gemeinsam Musik zu machen oder zu malen, eine Kamera im Kasseler Studio zu bewegen, zu chatten und vieles mehr.Das Fernsehpublikum jener Zeit nahm das interaktive Programm begeistert an, versuchten doch zeitweise bis zu 25.000 Anrufer*innen pro Stunde daran teilzuhaben. Per Bildtelefon und Live-Schaltungen wurden außerdem Künstler*innen aus der ganzen Welt zugeschaltet, die eigene Sendeformate gestalteten und Performances durchführten.
Die „Piazza Virtuale“ nahm bereits viele Merkmale und Funktionen heutiger sozialer Medien vorweg. So bot sie neben dem direkten Austausch der Nutzer*innen etwa die Möglichkeit, auf einem virtuellen Marktplatz Waren anzubieten, was an das Konzept gegenwärtiger Online-Auktionshäuser erinnert. Darüber hinaus zeigten sich frühe Formen des Phänomens des Trolling, also der gezielten Störung und Provokation anderer Gesprächsteilnehmer*innen.
Das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert und startete am 01.04.2018. Die Fördersumme liegt bei insgesamt 636.000 €, von denen 351.000 € an die Hochschule Mainz gehen. Beantragt wurde das Projekt von Prof. Anja Stöffler (Institut für Mediengestaltung, Hochschule Mainz) und Prof. Dr. Jens Schröter (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn). Die Projektleitung liegt bei Prof. Dr. Tilman Baumgärtel (Institut für Mediengestaltung, Hochschule Mainz).
Das Forschungsvorhaben versteht sich als ein paradigmatischer Versuch, frühe Online-Projekte und -Communities historisch aufzuarbeiten und langfristig zu sichern. Es gibt bisher wenig Forschung zum Erhalt und zur Historisierung dieser höchst fragilen digitalen Artefakte und medienkulturellen Relikte. Aus dem Projekt sollen neben medienwissenschaftlichen Publikationen auch ein mittellanger Dokumentarfilm und eine Kunstausstellung hervorgehen.