Ein Abschlussbericht des HAW Stipendiums des DAAD von Veronika Bolotina (20.10.2020 -12.02.2021)
Die Situation des Studienfachs im Gastland und die Arbeitssituation an der Hochschule/dem Gastlabor
Ich war erstaunt, wie vielfältig und kompliziert das Studium und die Lehre in Großbritannien gestaltet sind. Ohne Frage bekommt man einen tiefen Einblick in eine hoch komplizierte und internationale Filmindustrie. Es gelang dies durch die Anwesenheit von erfahrenen Profis, die offen für unsere Fragen waren und die bekannte Filmproduktionen vorstellten, an denen sie beteiligt waren. Die Kurse bestehen aus einer engen Zusammenarbeit mit den Filmemachern, die direkt aus der Industrie kommen; sie werden Tutors genannt. Sie helfen dabei, den jungen Studierenden verstehen zu geben, wie die Arbeitsbedingungen sind, wie man am Set arbeitet usw. Im Vergleich zu der Hochschule Mainz in Deutschland habe ich den Eindruck, dass wir mehr diese Brücke zwischen Studenten und international professionellen Filmemachern aus der Praxis gestalten sollten. Ein Beispiel: Ein Seminar über Hollywood-Produktion, in dem der Tutor aus der Praxis an einer Hollywood-Produktion als Produktions-Assistent tätig war oder der Besuch der Pinewood Studios, wo Schauspiel-Coaches für professionelle Schauspieler tätig sind.
So konnte ich eine komplette neue Technik ausprobieren: wie man mit Schauspielern arbeiten, wie man sie inszenieren kann. Als ich die Pinewood-Studio-Kurse belegte, konnte ich die Filmemacher interviewen und Fragen in Bezug auf die Entwicklung der Industrie stellen. Es gab mir ein gutes Gefühl dafür, wie groß das Geschäft tatsächlich ist - und was ich noch alles lernen kann. Die Studierenden waren hoch motiviert und sehr diszipliniert. Ich habe jeden Tag lernen können und auch gesehen, wie sie ihre eigene Karriere aufbauen. Viele von ihnen waren auch internationale Studierende, so wie ich. Die Atmosphäre ist sehr kreativ und offen. Das Gefühl entsteht, dass gemeinsam viele Projekte umzusetzen möglich ist. Ich muss auch gestehen, dass ich auch viele deutschsprachige Studenten kennenlernte, mit denen wir immer noch in Kontakt sind und an deren Projekten ich mitarbeite. Dies empfinde ich als ein großes Plus an meinem Aufenthalt, und es entstanden sehr gute Freundschaften.
Bericht zum Auslandssemester in London
Ich studierte Schauspiel, Drehbuch, Regie, Schnitt und lernte dabei viele talentierte Filmemacher kennen.
Es war ein wunderbares Semester, in dem ich meine Fähigkeiten als Regisseurin unter internationalen Bedingungen erweiterte. Trotz einer erschwerten Lockdown-Situation konnten Filmemacher weiter drehen - und ich konnte bis zum Januar noch die Kurse besuchen, die mein Interesse weckten und zusammen mit Studierenden Projekte umsetzen. Von Oktober 2020 bis Januar 2021 besuchte ich dann Workshops der London Film Academy, der Pinewood Studios, der London City Academy und der National Television School. Ich war erstaunt, wie unterschiedlich und vielfältig die Seminare gestaltet waren.
Im Dezember konnte ich dann ein Musikvideo in London produzieren. Dank oder trotz Lockdown konnten wir mehrere Locations organisieren, die Crew aus den talentierten Studenten aus den renommierten Hochschulen zusammenstellen und sogar in einer "leeren" Stadt drehen. Die Erfahrung an einem internationalen Set gab mir einen frischen Blick auf die Arbeitsprozesse und zeigte mir auch gewisse Unterschiede in der Set-Hierarchie. Zusätzlich lernte ich eine sehr große weibliche Community in Großbritannien kennen und arbeitete Seite an Seite mit sehr ambitionierten, interessanten Frauen, die mich inspirierten und mir ein Vorbild waren.
Direkt nach den Dreharbeiten zum Musikvideo habe ich mich mit einer belarussischen Kamerafrau getroffen und mich über die politische Situation in meiner Heimat ausgetauscht. Dieses Gespräch motivierte mich dazu, ein Drehbuch zu schreiben, in dem das belarussische Rechtssystem satirisch durch ein himmlisches Gericht, auch mit Engeln, dargestellt wird. Mithilfe von vielen belarussischen und russischen Filmemachern, Künstlern, den Studenten aus meinen Kursen, der belarussischen Kirche in London sowie der belarussischen Gemeinde entstand ein 12-minütiger Kurzfilm, in dem ich dann auch alle meine Kenntnisse in der Arbeit mit den Schauspielern ausprobieren konnte. Die Schauspieler wurden aus dem russisch-sprachigen Theater in London eingeladen, aber auch britische Schauspieler angesprochen und ins Projekt eingeladen. Es wurde eine Kritik an korrupten Richtern, die mittlerweile Menschen ohne Grund und Beweis be- und verurteilen. Das Gerichtssystem ist zu einer Farce geworden. Der Film geht bald online.
Förder-System und Film-Situation
Ich traf viele Filmemacher in London und interviewte sie in Bezug auf meine Master-Abschlussarbeit. Zusammengefasst war es sehr interessant, wie sich das System der Finanzierung unterscheidet. In Großbritannien gibt es ganz wenig staatliche Förderung, was die Filmemacher dazu motiviert, das Geld anders zu beschaffen. In Deutschland gibt zumeist regionale Förderungen, doch diese Förderungen sind sehr konservativ. In Großbritannien gibt es eine große Menge der Filmschaffenden, die durch Sponsoren und Crowdfunding Ihre Filme finanzieren. Dadurch haben sie einen anderen Einfluss auf die Summe, Verwertung und die Gagen-Auszahlung. Es ist auch interessant anzumerken, dass selbst bei Kurzfilm-Produktionen oder kleinen Projekten viele Mitarbeiter bezahlt werden. In Deutschland ist es leider ganz normal, ohne Bezahlung an einem Kurzfilm zu arbeiten. Ich fand, dass der Umgang mit der Finanzierung, dem Geld und der Wertschätzung der Arbeit der anderen in Großbritannien viel höher und professioneller ist. Der Beruf wird weniger als Kunst betrachtet sondern eher als Business. Das hat mir geholfen, meine Verantwortung als Regisseurin und Producerin anderes zu betrachten.
Anregungen
Ich konnte meinen Traum erfüllen und ein Semester in London studieren. Ich bin dem DAAD, der Betreuung und allen Beteiligten sehr dankbar.
Ich fand es persönlich etwas schade, dass ich keinen Anlaufpunkt zu den anderen DAAD- Studenten gefunden hatte. Gut wäre, die Studenten untereinander besser zu vernetzen und es wäre schön, wenn man sich über Kurse und den Aufenthalt im Gastland austauschen könnte.
Nur eine Anregung in Bezug auf das Stipendium: Der Lebensstandard in London ist sehr hoch und das Stipendium scheint nicht an die Preise im Gastland angepasst zu sein. Ich hatte es sehr schwer, immer wieder mein Budget zu kontrollieren, obwohl ich das Glück hatte, eine günstige Wohnung gefunden zu haben,
Forschungsvorhaben
Die Aufgaben meines Vorhabens konnte ich durch das Netzwerk von Filmschaffenden, die ich interviewtw, vollständig erfüllen. Durch die Unterstützung meines Betreuers an der Hochschule Mainz gelang es mir, meine Master Thesis genau und gründlich zu strukturieren. Im Hinblick auf meine Forschung entstand ein vielfältiger wissenschaftlicher Grundriss. Nach jedem Dreh führte ich eine Umfrage durch unter den Crew-Mitgliedern. So stellte ich fest, wie ich meine Arbeit als Regisseurin verbessern kann. Durch die neuen Kontakte weiß ich jetzt, wie ich meinen Langfilm entwickeln kann und welches Filmfestival ich in Betracht ziehen kann. In der Zukunft wäre es für mich als talentierte Regisseurin möglich, ein Künstler-Visum zu beantragen und dadurch international ohne Barriere zu arbeiten, was im Filmbereich sehr viel Wert ist. Der Insider-Blick in eine der großen Filmindustrien öffnete mir die Augen auf viele Möglichkeiten und neue Wege, Filme zu machen. Ich kann nur weiter empfehlen, ein Auslandssemester zu machen, um die Kenntnisse zu vertiefen. Meine Kenntnisse sind viel reicher geworden und ich bin mir sicher, es wird auch meine Karriere-Chancen erhöhen.