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Prof. David Voss

Fachgebiet: Editorial Design und Typografie

„Ein Hang zu starken Formen“

Der Leipziger Gestalter David Voss ist seit September diesen Jahres Professor in der Fachrichtung Kommunikationsdesign der Hochschule Mainz. Neben der Leipziger Handschrift wird er einen diskursiven Blick in seine Lehrveranstaltungen bringen. Im Interview mit Mareike Knevels spricht er über seine ersten Eindrücke von Mainz, das „artistic graphic design“ und einen szenografischen Katalog.
Lieber David, Hand aufs Herz, wie oft warst du vor deiner Berufung schon in Mainz? Wie war dein erster Eindruck von Stadt und Hochschule? Das erste Mal war ich in Mainz für das Berufungsgespräch, das zweite Mal zum Verhandeln der Bezüge und das dritte Mal zur Vereidigung. (Er lacht.) Vorher war ich also noch nicht in Mainz. Aber die Stadt hat mir gut gefallen. Ich finde, es ist eine heterogene Stadt, in der es eine gewisse Reibung gibt, die mir gefällt. Das Stadtbild wirkt auf mich sehr lebendig und abwechslungsreich. Generell hat das ganze Rhein-Main-Gebiet einen anderen Charakter als Leipzig, was ich gut finde. Und ich bin gespannt, Teil davon zu werden.
Du hast dein Büro „Bureau Est“ mit vier weiteren Gestalterinnen und Gestaltern in Leipzig und Paris. Bureau Est steht für „direkte Kommunikation, klare Strukturen und transparente Prozesse.“ Die meisten Projekte sind in Kunst und Kultur verortet, der Mousonturm in Frankfurt, die Kulturstiftung des Bundes oder die Stiftung Bauhaus Dessau sind nur einige Referenzen. Man könnte also meinen, es gibt genug zu tun, schaut man aber auf die Workshops und Lehrerfahrungen des Büros, ist auch die Liste lang. Warum in die Lehre? Was interessiert dich an der Lehre? Was ist dir wichtig? Was nimmst du vielleicht selbst daraus mit? Fünf Tage die Woche nur im Büro zu sein, das fand ich noch nie befriedigend. So habe ich schon früh überlegt, was parallel zu meiner Tätigkeit als Gestalter noch ein weiteres Tätigkeitsfeld sein könnte. Mainz ist nicht meine erste Lehrerfahrung. Zuletzt war ich an der Fachhochschule in Dortmund, 2019 unterrichtete ich an der Universität der Künste in Berlin und davor war ich als Gastdozent für ein Semester in der École Supérieure d’Art et Design in Valence-Grenoble. Die Lehre hat für mich verschiedene schöne Effekte: Es ist der Austausch mit den Studierenden und das Problemlösen. Manchmal fallen Fragen in den Raum, die ich mir selbst gerade stelle, und so tritt man gemeinsam in den Diskurs. Es geht darum eine Sprache zu finden, die den Leuten weiterhilft und die vermittelt. Das finde ich spannend, wie auch den Leuten beim Fortschritt zuzusehen.
Mein Wunsch ist es, dass die Studierenden wissen, was sie können, wissen, wohin sie wollen und wissen, wie sie das erreichen. Nicht nur im monetären Sinn, sondern auch im ideellen.   Lehre bedeutet für mich, viele Fragen zu stellen. Fragen, die man sich auch selbst stellt. Ich möchte, dass die Studierenden eigenständige Arbeiten entwickeln und ihren Weg finden. Meine Expertise stelle ich an dem Punkt zur Seite und wir gucken gemeinsam, wo die jeweiligen Potenziale sind. Mein Wunsch ist es, dass die Studierenden wissen, was sie können, wissen, wohin sie wollen und wissen, wie sie das erreichen. Nicht nur im monetären Sinn, sondern auch im ideellen. Das Wissen um die eigenen Qualitäten, aber auch um die Defizite ist mir wichtig. Wo bin ich Experte, was kann ich mit meiner Expertise tun?   Ich finde, das klingt nach einer sehr schönen Vorgehensweise. Womit startest du im kommenden Semester? Fast schon eine Plattitüde – aber hast du bestimmte Vorstellungen, Erwartungen an dein erstes Semester an der Hochschule? Dass das kommende Semester zum größten Teil digital stattfindet, finde ich sehr schade. Lieber wäre ich in Mainz, um ein Gespür für den Ort zu entwickeln und in einer direkten Auseinandersetzung mit der Umgebung zu sein. Die Dinge werden so erfahrbarer und man tritt in einen nahbaren Dialog. Auf der anderen Seite bin ich froh, dass ich in das zweite digitale Semester einsteige und von den Erfahrungen meiner Kolleginnen und Kollegen profitieren kann.
Erster Eindruck: Wie siehst du das Mainzer Editorial Design oder die Typografie? Falls es da einen einheitlichen Stil gibt … Abseits von Gutenberg hat Mainz unter anderem mit Ulysses Voelker und Hans Peter Willberg schon eine reichhaltige Tradition. Das ist natürlich Ehre und Bürde zugleich. Ich denke, es gibt eine gewisse Mainzer Denkschule. Dazu gehört vor allem auch die Forschung.  Einiges an Fachwissen über die Typografie, welches ich erworben habe, basiert auf Inhalten, die aus Mainz kamen, ohne dass mir jedoch wirklich bewusst war, dass es von hier stammt. Daher denke ich, es wäre wichtig, die Hochschule internationaler und vor allem auch national stärker zu positionieren. Zudem gibt es in der Fachrichtung Kommunikationsdesign eine Vielzahl von Professorinnen und Professoren, deren Kerngebiet Typografie ist. Ich denke, das ist ein Novum in der deutschen Hochschullandschaft. Das Feld erweitert sich ständig und es gibt meiner Meinung nach nicht die eine Typografie. Daher ist ein Mehrwert für die Hochschule und die Studierenden, eine Vielzahl von Professorinnen und Professoren zu haben, deren Fokus die Typografie ist. So kann ein reger Austausch entstehen.
Hast du bestimmte Projekte, Ideen im Kopf, die du gerne mit den Studierenden umsetzen möchtest? (Er lacht.) Da würde ich jetzt mal aufs Vorlesungsverzeichnis verweisen. So verhandeln wir in den Kursen im Winter Themen wie Privilegien oder Aufmerksamkeits-Ökonomie, aber es geht auch um Umbruchsituationen und das Potential aus diesen zu lernen. In den kommenden Jahren steht die Möglichkeit im Raum, ein Symposium zu organisieren, um an Hand von diesem eine bessere Positionsbestimmung für unser Fach vornehmen zu können. Das schon erwähnte Potenzial der Fachrichtung Kommunikationsdesign würde ich gerne in jedem Fall noch sichtbarer machen. Heißt: Mit der Lehre nach innen wirken und nach außen unsere Expertise zeigen. Das Symposium wäre für den Herbst 2021 oder 2022 angedacht. Dafür benötigt es genügend Vorlauf, um eine gute Planung mit den Kollegen, Kolleginnen und Studierenden zu ermöglichen. 
Ich finde die Arbeiten von Bureau Est sehr künstlerisch. In einem Interview mit Kultur 360 sagtest du „artistic graphic design“ – wie würdest du eure Arbeiten selbst einordnen?  Eine ästhetische Gestaltung ist für mich fast immer Mittel zum Zweck. Es geht nicht „nur“ um schöne Sachen: Sondern dahinter steht die Frage nach dem Warum, die Auseinandersetzung mit dem Inhalt ist essentiell. Bureau Est ist hauptsächlich innerhalb des Kulturbetriebs tätig. Künstlerische Inhalte respektive die Formen aus Kunst, Architektur und Kultur bestimmen auch die Gestaltung. Sie dienen als Codes und Referenz, aus denen wir beim Gestalten zitieren.  Dahinter stehen dann auch die Fragen: Für wen ist das Ganze gemacht? Also: Wer ist unser Zielpublikum? Wer geht in die Ausstellung? Welche Sprache spricht mein Zielpublikum? Was sind die Schlüsselreize? Die Gestaltung muss dem Inhalt gerecht werden. In dem Fall Kunst und Kultur sowie deren Komplexität. 
Wie gestaltest du? Siehst du dich als Dienstleister? Und wer hat dich in deiner Arbeit geprägt? Gibt es eine Leipziger Handschrift? Selten gestalte ich nur aus mir selbst heraus. Es gibt natürlich Menschen, die das tun. Das wird meiner Meinung nach schnell sehr künstlerisch oder zur freien Kunst. Ich denke, ich bin gut im Problemlösen. Wenn ein Projektpartner mit einem Problem kommt, ist es mir wichtig, den Prozess des Lösens gemeinsam zu gehen. Der Auftraggeber ist für mich der Experte auf seinem Gebiet und ich arbeite als Experte auf meinem Gebiet. Wir stehen im Dialog, im Austausch. Es ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, also keine ausführende Maßnahme. Leipzig als Stadt hat mich geprägt und natürlich kann man die Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) als formende Institution nicht ausblenden. Die HGB ist konzeptionell stark verankert, steht für Buchgestaltung und Typografie. Natürlich gibt es da eine Leipziger Handschrift und die Ausbildung dort ist ein Teil meiner Prägung. Von Bureau Est haben jedoch nur zwei von fünf Kolleginnen und Kollegen auch an der HGB studiert. Was wir alle gemeinsam haben, ist ein Hang zu starken Formen. 
Eingangs sagtest du, dass du einen arbeitsintensiven Sommer hattest. Woran arbeitest du gerade? Falls du ein größeres Projekt vorstellen möchtest. Wir haben gerade mit der Stiftung Buchkunst den Katalog der Schönsten Bücher 2020 gestaltet. Es war und ist ein sehr interessantes Projekt. Im Kern stand die Frage: Wie bildet man Bücher in einem Buch ab? Wie wird man einem Buch als Objekt mit seinen vielen Seiten, seiner Haptik gerecht? Wir haben die Bilder der Bücher im Katalog mit Videos verknüpft. Der Katalog hat sein Pendant im Internet, und über eine App kann man Filme zu den jeweiligen Publikationen sehen. So hat man viel mehr Möglichkeiten, auf das einzelne Buch einzugehen, kann Details zeigen, die Haptik des Buches wird transportiert und der Rezipient kann im Buch blättern. Der Katalog selbst ist wie ein Skript, wie ein szenografisches Storyboard gestaltet. Was auch toll an dem Projekt gewesen ist, war die intensive Zusammenarbeit mit den verschiedenen Gewerken wie Buchbindereien oder unseren zwei Fotografen. Die Stiftung Buchkunst selbst war sehr unterstützend und hat uns gleichzeitig viel Freiheit gegeben. Ein toller Nebeneffekt ist auch, dass wir diese Art der Bindung weiter entwickelt haben. Der Katalog besitzt eine Ringbindung, aber da der Umschlag mitunter schnell bricht, haben wir mit einem besonderen Falz gearbeitet. Bei der Präsentation des Kataloges wurde uns von einem Kollegen, der sich in dem Fach gut auskennt, gesagt, dass es diese Herangehensweise so noch nicht gegeben hätte.
Im Gespräch: Prof. David Voss, Studiengang Kommunikationsdesign
Mareike Rabea Knevels, Studiengang Kommunikationsdesign