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Inspired by Japan

Virtuelle Begegnungen mit Japans Kunst, Typografie und Design

Es regnet. Menschen mit durchsichtigen Regenschirmen kommen mir entgegen. Sie tragen lange Hosen und T-Shirts. Ich habe auch einen Schirm, darauf prasseln die Tropfen. Ein schwarzes Taxi fährt an mir vorbei. Die Häuser um mich herum sind grau und haben mindestens drei oder vier Stockwerke. Es ist dämmrig, ob es morgens oder abends ist, kann ich nicht sagen. Die Lichter der Autos spiegeln sich auf dem nassen Asphalt und über mir hängen schwarze Stromleitungen. Sie fließen an einem Mast zu einem dicken Knäuel zusammen. Ich bin in Tokio. Zumindest habe ich das vor 60 Sekunden mit einem Klick beschlossen. Jetzt bin ich hier, wo Neonlichter auf traditionelle Tempel treffen und der Vulkan Fuji durch Wolkenkratzer lugt. Habe ich mir Tokio so vorgestellt? Ehrlich gesagt, habe ich gar keine präzise Vorstellung von Tokio gehabt. Vielleicht Hochhäuser? Aber das ist so ziemlich das allgemeingültigste Kriterium einer Metropole. Da vorne ist ein Supermarkt. „Geh rein!“, möchte ich meinem virtuellen Zwilling in rund 12.500 Kilometer Entfernung zurufen. Die Webseite virtualvacation.us hat meine Neugierde geweckt und ich werde jetzt erstmal weiter durch die japanische Hauptstadt flanieren.
Virtuelle Reise als Tourist Ungefähr so müssen sich die Studierenden des Interdisziplinären Kurses (kurz IP) unter der Leitung von Alumna und Mary Somerville-Stipendiatin Sophia Streit und Prof. Monika Aichele in ihrer Anfangszeit gefühlt haben, als sie die ersten Spaziergänge über virtualvacation.us machten. Wöchentlich packten die rund 26 Seminarteilnehmer ihren digitalen Rucksack. In Reisegruppenmanier schwärmten sie auf die Japanischen Inseln, in die Städte, in die Dörfer und in die verschiedenen Landschaften aus. Ob als Gruppe oder einzeln, via Klick wurde die neue Umgebung erfahren. Manchmal trafen sich zwei Gruppen zufällig am selben Ort und brachten völlig unterschiedliche Eindrücke mit. Gemeinsam war allen Kursteilnehmern, dass sie Beobachter einer anderen Kultur, eines anderen Landes sein wollten. Und ihre Sehnsucht nach der Ferne, nach dem Reisen, vor allem nach Japan. Ein Land, welches viele schon aus privaten Urlauben kannten. Die Studentinnen und Studenten ließen sich auf ihren virtuellen Streifzügen von Japans Typografie, Illustration, Grafikdesign oder Kunst inspirieren. Sie sammelten die vielen interessanten und schönen Eindrücke und brachten ihre persönlich gestalteten Souvenirs in Form von Animationen mit. Manch einer porträtierte ein kleines Dorf, ein anderer setzte sich mit den Göttinnen und Göttern des Landes auseinander. Zu den unterschiedlichen Reiseterminen wurde den Studierenden ein Begriff mit in die Reisetasche gepackt. Beispielsweise „Hikkikomori“ – eine japanische Bezeichnung für Menschen, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer isolieren und den Kontakt zur Gesellschaft auf ein Minimum reduzieren. Diese Begrifflichkeiten sollten die Studierenden dann in ihre gestalterischen Arbeiten mit einfließen lassen. In den Zoom Meetings berichteten neben Prof. Monika Aichele und Sophia Streit auch die Seminarteilnehmer und -teilnehmerinnen von ihren eigenen Japanreisen. Der Zoomhintergrund wurde je nach Erlebnis angepasst. So entstand neben dem gemeinsamen Reisegefühl eine sehr persönliche und inspirierende Atmosphäre.
„Das beste am Kurs: die Freiheit und Selbstbestimmung.“ Katharina Schnaubelt
Katharina Schnaubelt, eine der Studentinnen, war zunächst skeptisch, ob sie den Kurs besuchen sollte. Sie fragte sich, wie sie sich einem Land nähern könne, ohne jemals dort gewesen zu sein. Und in welchem Maße ein Kulturfremder über eine andere Kultur berichten darf. Sie entschloss sich dann doch für das IP. Hauptgrund ihrer Kurswahl waren die vielen kleinen Projekte, die enge Taktung mit individueller Schwerpunktlegung. Die Seminarteilnehmer konnten eigenverantwortlich entscheiden, bei welchem Projekt respektive Ort sie mehr in die Tiefe gehen möchten und wo nicht. Ein weiteres Ziel des Kurses war es, das Animationspotential um hundert Prozent zu steigern, so Katharina Schnaubelt. Ob After Effects, Cinema 4D, Photoshop, Procreate oder Clip Studio Paint– verschiedene Tutorien halfen den Studierenden, sich mit dem jeweiligen Animationstool vertraut zu machen oder die schon vorhandenen Fähigkeiten zu stärken sowie zu erweitern. Darüber hinaus bildeten sich schnell Arbeitsgruppen unter den Studierenden in dem gut besuchten Seminar. Diese scheuten sich nicht, auch abends Extra-Stunden einzulegen, um noch tiefer in das ein oder andere Programm einzusteigen. Katharina Schnaubelt setzte ihre Arbeiten schließlich mit einem Risographen um. Der Risograph ist ein japanisches Druckverfahren, ein Schablonendruckverfahren nach Art der Siebdrucktechnik, welches die Farbe ohne Anwendung von Chemikalien und Hitze auf das Papier bringt. Seit 2019 besitzt die Fachrichtung Kommunikationsdesign einen solchen Drucker – dessen Druckerzeugnisse einen ganz besonderen Wiedererkennungswert haben.
Die Erwartungen von Katharina Schnaubelt waren zum Kursende mehr als erfüllt und ihre Skepsis bewahrheitete sich nicht. „Den beiden Lehrenden gelang es, uns so sensibel und schön an eine fremde Kultur heranzuführen, dass nicht der Eindruck entstand, als Außenstehende über etwas zu befinden oder zu urteilen.“  Der Kurs definierte sich stets als Reisegruppe, die Souvenirs in Form von animierten Bildern sowie Eindrücke aus Japan mitbrachte, um so eine kulturelle Aneignung zu vermeiden.  Zum Ende des Seminars landete die Reisegruppe noch einmal virtuell auf dem Flughafen Narita: Es war früh am Morgen, fast alle hatten einen Jetlag und einen Kaffee in der Hand. Nach einer Weile des Wachwerdens startete der Kurs wehmütig mit der abschließenden Semesterpräsentation: einer Vielzahl von Animationen und Reiseberichten. Gemeinsam beschlossen sie dann, dass sie gerne länger bleiben würden. Den Flug zurück haben sie erst einmal verschoben…
Autorin:  Mareike Rabea Knevels, Studiengang Kommunikationsdesign   Unter den folgenden Hashtags kann man auf Instagram die japanischen Souvenirs sehen: #mzgoesjpn #mainzgoesjapan

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Dieser Artikel ist in der digitalen Sonderausgabe 1/2021 des Hochschulmagazins "Forum" erschienen.
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