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Dartpfeilgeschichten

Im Erstsemesterkurs „Texten kann man lernen. Aber nur beim Texten.“ bei Prof. Nadja Mayer haben 23 Studierende mit Dartpfeilen auf einen Stadtplan von Mainz gezielt, um sich anschließend vor Ort zu begeben, sich umzuschauen und ihre Eindrücke in kurzen Texten festzuhalten. Dabei erlebten sie melancholische Stimmungen, ein leeres Fußballstadion, humorlose Häuser, knurrende Hunde und haderten gelegentlich auch mit dem Schreiben. Vierzehn dieser Dartpfeilgeschichten haben Sie bereits in der ersten Ausgabe des „Forums“ 2020 lesen können. Hier folgt mit neun Geschichten der zweite Teil. 

Mitten im Nirgendwo

Hab keinen Plan, bin verlor’n. Keine Ahnung, wohin soll ich geh’n? Stehe innerhalb des nirgendwo. Und mitten im Geschehen 5.000 Schritte den Berg hoch. Doch die Spitze seh’ ich nicht. 30.000 Studenten groß. Und mittendrin bin ich. Entlang der Welt, von der ich nichts wollte und hinein in die, die ich ziemlich kannte. Verpasse nichts, möchte nichts, habe nichts von hier. Mir ist kalt, allein im Wald. Und meine Schuhe tu‘n mir leid. Stadion, Stadion, aber keiner spielt. Manche Geschichten sind auserzählt. Mitten im Grünen. Ausserhalb der Stadt. Hab die Orientierung schon längst verloren. Hier wars ganz schön. Hab alles gesehen. Weiß jetzt viel mehr. Ich glaub ich geh’ jetzt trotzdem wieder. Annika Hetzel 

Es war einmal ein Schützenhaus

Tschüss sagten sie und liefen in die gleiche Richtung. Peinlich. Ich werde schneller. Schneller wird’s peinlicher. Interessant – wie spießig bezüglich plötzlich entstehender Situationsverlängerungen wir sind. Da schenkt uns jemand einfach so einen Zusatzmoment und wir versuchen verzweifelt mittels unnatürlich gestreckter Schritte diesem Zeitstück zu entkommen. Verrückt – stur schwinge ich weiter meine Füße. Einen vor den anderen. So laufen wir. Einer vor dem anderen. Auf dem Weg zu dem Moment, der nach dem „Tschüss“ hätte eintreten müssen. Auf dem Weg, sich mal wieder nicht zu überwinden, Zeit zu füllen. Der nette Mann, der mir den Weg erklärt hat, biegt ab. Ich laufe geradeaus. Tschüss sagten sie und rissen es ab. Es war einmal ein Schützenhaus. Thea Arndt 

Vom lauwarmen Suppentopf ins feurig heiße Frittiernetz

Zahnspangenträger, schreiend, stolpernd, schubsend. Schrille Stimmbrüche stoßen schlagartig auf Gedankenbrei aus Hausaufgaben, Hunger und Abendplanung. Unwohlsein, Socken zu lang. Ich laufe am Schulkomplex vorbei. Eindringling. Vor zwei Jahren war ich selbst im Sammelbecken der heranwachsenden mehr oder weniger Lerndurstigen: Ständiges Durchschütteln im Netz aus Freunden, Eltern, Lehrern. Durchkommen oder rausfallen, ins nächste Netz kommen. Am Ende kriegt jeder eine andere Soße. Dann? Dümpeln, im eigenen Gefäß. Ausbreiten, auslaufen ohne absaufen. Wer sich heute nicht mehr vorstellen kann, fettige Pommes zu essen oder noch nicht vorstellen kann, gesunde Gemüsesuppe zu essen und keineswegs beides zusammen: Vielleicht ist das einfach okay so. Und zum Ort hier, naja, die Blätter sind schön gelb. Joanna Greiner 

Kahler Montag

Es ist grau. Es ist kalt. Es ist ein typischer Montag. Wo bin ich hier überhaupt? Was mache ich hier eigentlich? Ach ja, ich soll zum Autor werden. Grauer Himmel, enger Weg, matschiger Boden und zwei einsame Häuser. Ich spüre Stille und Einsamkeit. Irgendwie ganz schön unheimlich, aber irgendwie auch schön. Einfach mal alleine sein, an einem völlig fremden Ort. Nur mit sich selbst und seinen Gedanken. Der Weg, auf dem ich stehe, ist so schmal, dass gerade mal ein Auto darauf fahren kann. Ich bemühe mich meine Gedanken zu ordnen und versuche spannende Sätze zustande zu bringen. Plötzlich werde ich von einem vorbeifahrenden Zug aus der Stille gerissen und all meine Sätze, die ich mir für meine Geschichte überlegt hatte, sind aus meinem Kopf verschwunden. Louisa Gessinger

Kranker Spaß

Rumlaufen lohnt sich nicht, alle Häuser gleich. Kahl, blockig, viele Fenster. Außen schmutzige Fassaden, innen lange Korridore mit Türen, die einen zu den Fenstern bringen.  Mordsatmosphäre einfach. Krankenhäuser sind mir unangenehm. Gern besucht hab ich sie selten, den meisten geht es, denk ich, ähnlich. Lachen hör ich hier keinen. Ist auch ein humorloser Bereich unseres Daseins. Das Krankwerden, Leiden und irgendwann dann halt Sterben. Man kommt ja doch nicht mit dem Leben davon, wir gehen alle auf das Ende zu. Der große Gleichmacher. Und wenn ich heute hier weggehe, bin ich dem Ende dadurch nicht entwischt. Irgendwann ist dann auch meine Zeit, vielleicht gibt es dann ein Wiedersehen mit dem Krankenhaus. Hoffentlich nicht. Niklas Artschwager 

Tierheim in Grau

Wie soll ich bloß anfangen? Hässliches Grau, ekliger Matsch, alter Beton, unangenehme Nässe und ein niedliches Tierheim? Wo bin ich hier? Wieso ist das einzige Lebewesen weit und breit ein mich wütend anbellender Hund? Und was zum Henker hat ein Tierheim an diesem Ort verloren? Was hab ich eigentlich an diesem Ort verloren? Wieso bin ich an einem regnerischen Freitag bloß in dieser trostlosen Gegend? Ob der Hund wohl auch die Schnauze voll von diesem Ort hat? Knurrt er möglicherweise deshalb ununterbrochen? Wieso denke ich eigentlich über so etwas nach? Und weshalb interessiert sich der blöde Köter eigentlich so sehr für mich? Warum verliere ich eigentlich ständig den Fokus? Ob ich es so jemals schaffe, hierzu einen Text zu verfassen? Luka Stipetic

Kinder spielen im Herbst

Sie fallen. Segeln langsam zu Boden. Gelb, braun, orange, manche sind noch etwas grün. Sie bleiben an meinen Schuhen kleben, machen den Boden rutschig. Die Kinder lieben sie. Sammeln sie vom Boden auf, bewerfen sich mit ihnen. Denken nicht darüber nach, dass es eigentlich zu kalt ist und außerdem nieselt. Halb so groß wie ich, halb so alt. Doch fühle ich mich ihnen nicht überlegen. Ich denke daran, wie ich selbst so klein war. Unbekümmert, instinktiv, verspielt. Zeit vergeht so schnell. Ich würde gerne mitspielen. Das innere Kind rauslassen. Nicht daran denken, was morgen kommt und gestern war. Den Moment leben. Den Tag nehmen, wie er ist. Die Pause scheint vorbei zu sein. Die Kinder gehen rein und ich bin allein. Im Meer aus bunten Blättern. Lara Bachmann 

Leeres Stadion

Es ist kalt. Es ist grau. Ob ich den Teamgeist fühle, weiß ich nicht ganz genau. Ein merkwürdiger Ort. Hier trifft die Gemütlichkeit des Zuhauses auf die Spannung eines modernen Kolosseums. Abgegrenzt durch die rasenden Asphaltstreifen. Heute ist es hier leer. Doch hier kann es auch ganz anders aussehen. Motivierte, mitfiebernde Menschenmengen und Musik. Leider habe ich diesen Ort so nicht angetroffen. Nur der Wind geistert durch die leeren Tribünen. Es bildet sich ein merkwürdig unangenehmes Gefühl in mir. Warum weiß ich auch nicht genau. Es hat wohl etwas mit einer postapokalyptischen Assoziation in meinem Unbewussten zu tun. Obwohl ich nur ein leeres Stadion anstarre. Martyna Jurczenko

Hier war ich schon mal

Ich bin genervt. Das wäre ich aber auch ohne die Aufgabe, die mich wieder hier her bringt. Ich mochte mal diese unendlich graue Tristesse, die man hier Winter nennt. Weniger weil man sich nicht ärgern muss, zu Hause geblieben zu sein, anstatt draußen etwas unternommen zu haben. Es war viel mehr die Freude darauf, sich einer Melancholie hinzugeben, für die es sonst keinen Platz gibt. Eine Melancholie, die ein neuartiges Licht auf mein Umfeld, mich und meine Gedanken wirft. Erkenntnisse und Ideen, die im Frühling Früchte tragen. Ich weiß nicht, ob es an mir liegt, oder wann sich daran etwas geändert hat. Ich weiß nur, dass diese Melancholie inzwischen mehr zermartert als sie erschaffen kann. Zum ersten Mal war ich im Sommer hier. Das war schöner. Moritz Bräuer
Autorinnen und Autoren:
Thea Arndt Niklas Artschwager Lara Bachmann Moritz Bräuer Louisa Gessinger Joanna Greiner Annika Hetzel Martyna Jurczenko Luka Stipetic   Studentinnen und Studenten des Studiengangs Kommunikationsdesign

Sonderausgabe Forum

Dieser Artikel ist in der digitalen Sonderausgabe 1/2021 des Hochschulmagazins "Forum" erschienen.
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