This content is only partially available in English.

Gewerbliche Forschungsstudie / Transfer-Projekt: Boehringer

Qualitative Analyse von Online-Videos für Patienten in der Gesundheitskommunikation

1. Rah­men­be­din­gungen und Ziele der Studie

Gesundheitskommunikation spricht divergente Zielgruppen an: Patienten und Angehörige einerseits sowie Ärzte und Pflegepersonal andererseits (Roski 2009; Heikenwälder et al. 2013; MSLGroup Germany 2011). Die vorliegende Erhebung "Analyse von Online-Videos für Patienten" ist die Pilotstudie zu einer umfassenden Analyse der "Bewegtbildkommunikation in der digitalen Gesundheitskommunikation", die alle drei Zielgruppen (Care Taker, Care Giver, Health Care Professionals) erfasst. Auftraggeber der Studie ist das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim. Die Untersuchung fokussiert auf Lungenkrebspatienten. Das verwen-dete Videomaterial entstammt der englischsprachigen Website lifewithlungcancer.info und wurde für die Durchführung der Studie modifiziert und in deutscher Sprache nachgedreht. Abbildung 1 stellt den Verlauf sowie die Gliederung des Gesamtprojekts da. Teilprojekt 1a bis 1c sind hierbei als qualitative, explorative Untersuchungen angelegt, Teilprojekt 2 hingegen als quantitative explanative Untersuchung.

2. Methodik der Studie

In Erweiterung einschlägiger wissenschaftlichen Studien (Bol et al., 2013; Jansen et al., 2008; Kreuter et al., 2007; Van Weert et al., 2011) wurden nicht Online-Videos mit anderen Medien-typen (Print und Website) verglichen, sondern spezifische Merkmale bzw. Merkmalskombina-tionen von Bewegtbild analysiert. Hierzu wurden zwei Videos in insgesamt 10 verschiedenen Varianten produziert: Video 1 zum Thema Palliativmedizin (Fokus "Videogestaltung": Perso-nalisierung durch Patient versus Arzt und verschiedene Einbindungsformen von Interviewern) sowie Video 2 zum Thema Staging (Fokus "Videoinhalt": zwei Varianten der Informations-menge und zwei Varianten mit/ohne Infografik). Die Konstellationen dieser Varianten sind in Tabelle 1 und Tabelle 2 dargestellt. Ihre Analyse geschah in einem qualitativen Mehr-Methoden-Design, das eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Probanden beinhaltete. In einem ersten Schritt wurde der objektive Wissenszuwachs/Informationsgewinn durch die Testpersonen ermittelt, in einem zweiten Schritt wurden verschiedene Einschätzungen (Zu-friedenheit, Verständlichkeit, Glaubwürdigkeit, Nutzwert) abgefragt sowie ein qualitatives In-terview geführt (Matzler et al., 2009; Matsuyama et al., 2013; Lang et al., 1995; Dinter; Pagel, 2014). Durch die Zusammenarbeit mit Lungenkrebsselbsthilfegruppen konnten 21 an Lungenkrebs erkrankte Probanden an drei Standorten (Bochum, Düsseldorf und Heidelberg) für diese qua-litative explorative Studie gewonnen werden.

3. Ergebnisse

3.1 Merkmalsbezogene Erkenntnisse:

Bei der Betrachtung des Merkmals konnte festgestellt werden, dass sich die Personalisie-rung (Wissensvermittelnde Person = Patient) negativ auf die objektive gemessene Wissens-vermittlung auswirkt. Im Durchschnitt ist die Wissensvermittlung bei jenen Videos, in denen die Informationen von einem Arzt vermittelt werden, höher als bei den Videos, in denen die gleichen Informationen von einem Patienten vermittelt werden. Betrachtet man hingegen den Einfluss auf die subjektiven Bewertungen der Probanden zeigt sich eine leicht positive Wir-kung der Personalisierung. Die Videos, die einen Patienten als Protagonisten enthielten, wur-den als etwas verständlicher und glaubwürdiger bewertet und resultierten in einer leicht höhe-ren Zufriedenheit der Probanden. Weiterhin konnte durch das Merkmal Interviewer festgestellt werden, dass sich ein Dialog (z.B. mit einen Interviewer) im Vergleich zu einem Monolog des Wissensvermittlers positiv auf die objektiv gemessene Wissensvermittlung und auf die subjektive Bewertung der Videos durch die Probanden auswirkt. Um die Frage nach der geeigneten Informationsmenge zu beantworten, wurden den Test-personen entweder eine lange oder eine kurze Version des Videos gezeigt. Betrachtet man nun ausschließlich den Bereich der sowohl in dem langen als auch in dem kurzen Video vor-kam, so konnte bei beiden Probandengruppen der gleiche Wissenserwerb gemessen werden (77% der Wissenslücken bezogen auf dieses Videomaterial wurden jeweils geschlossen). Darüber hinaus konnten die Teilnehmer mit der langen Videovariante in den ihnen zusätzlich gezeigten Minuten noch durchschnittlich über die Hälfte (63%) der Wissenslücken bezogen auf das zusätzliche Material schließen. Um Effekte des Merkmals Infografiken zu testen, wurden zwei Erklärgrafiken im Testvideo platziert. Diese waren so positioniert, dass die Testpersonen mit der kurzen Videovariante eine Infografik und die Teilnehmer mit der langen Videovariante zwei Infografiken zu sehen bekamen. Es ist festzuhalten, dass auch bei einer Einzelbetrachtung der beiden Infografiken sich beide negativ auf den Wissenserwerb auswirken. Hier besteht weiterer Forschungsbe-darf für die nächsten Teilprojekte.

3.2 Merkmalsunabhängige Erkenntnisse:

Bei dieser qualitativen, explorativen Untersuchung konnten neben den merkmalsabhängigen Erkenntnissen auch einige merkmalsunabhängige Erkenntnisse gewonnen werden. Im Rahmen der qualitativen Interviews konnte festgestellt werden, dass einige der Probanden die Glaubwürdigkeit eines Videos damit begründeten, dass ihnen Teile der Inhalte bereits be-kannt waren oder sie bereits Erfahrungen gemacht haben, die mit Teilen der Inhalte übereingestimmt haben. Diese Übereinstimmung kann somit die Glaubwürdigkeit eines Videos beeinflussen. Einige Aussagen der Probanden lassen vermuten, dass die steigende Bekanntheit bzw. Vertrautheit des Darstellers sich positiv auf die Bewertungen der Testpersonen auswirkt.

3.3 Methodische Erkenntnisse:

Auf Grund der bisherigen Erkenntnisse soll das Forschungsdesign in den kommenden Teilprojekten wie folgt angepasst werden. An Stelle der Differenzierung zwischen den Merkmals-ausprägungen "Interviewer im Bild" und "Interviewer im Off" sollten gegebenenfalls die Aus-prägungen "weiblicher Interviewer" versus "männlicher Interviewer" verwendet werden. Weiterhin sollte, um die negative Auswirkung der Infografik auf die faktische Wissensvermittlung näher zu untersuchen, in den Folgeprojekten die Variable Infografik um weitere Parameter ergänzt werden. Diese könnten beispielsweise Länge der Einblendung, Animation, Informati-onsgehalt, Aktives Einbinden durch den Protagonisten sein. Um bei Teilprojekt 2 eine ausreichende Anzahl an Fällen pro Videovariante und gleichzeitig wie oben beschrieben die Ausprägungen der Variablen erweitern zu können (z.B. Ergänzung von geschlechterspezifischen Varianten), sollten die einzelnen Variablen voneinander entkoppelt werden.

4. Handlungsempfehlungen für die Produktion von Patientenvideos

Abschließend konnten unter anderem folgende Handlungsempfehlungen generiert werden. Diese werden im Folgenden in Allgemeingültige Handlungsempfehlungen und Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der faktischen Wissensvermittlung unterschieden.

4.1 Allgemeingültige Handlungsempfehlungen

Bei der Konzeption der Videos ist eine dialogische Gesprächssituation (z.B. Interview) ge-genüber einem Monolog vor der Kamera vorzuziehen. Um die Glaubwürdigkeit der neuen Informationen zu erhöhen, sollten die Videos nach Möglichkeit zusätzlich zu den zu vermittelnden Informationen auch Informationen beinhalten, die den Nutzern bereits bekannt sein müssten. Des Weiteren sollte die wissensvermittelnde Person sich kurz persönlich vorstellen und nach Möglichkeit in mehreren Videos eingesetzt werden, um so durch die hierdurch entstehende Vertrautheit die Glaubwürdigkeit weiter zu erhöhen.

4.2 Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der kognitiven Wissensvermittlung

Die wissensvermittelnde Person in den Videos sollte ein Mediziner sein. Dies führt zu einer höheren faktischen Wissensvermittlung als die Personalisierung durch einen Patienten. Wird eine Interviewsituation dargestellt, sollte der Interviewer nach Möglichkeit auch im Bild zu sehen sein. Dies wirkt sich im Vergleich zu einem Interviewer aus dem Off ebenfalls positiv auf die faktische Wissensvermittlung aus. Weiterhin sollten die Videos tendenziell eher etwas länger sein und nach Möglichkeit auch Detailinformationen enthalten. Ebenso empfiehlt es sich auf den Einsatz von Infografiken in der bisherigen Form zu verzichten.